Sinsheim. Eine S-Bahn ist rund zehn Kilometer führerlos durch das Elsenztal gerollt, weil der Lokführer im Führerstand offenbar bewusstlos geworden war. Die etwa 20 Passagiere durchlebten zwischen den Haltestellen Hoffenheim und Reilsheim bange Minuten, ehe der Lokführer wieder zu sich kam und die Bahn stoppte. Der Vorfall offenbart eklatante Sicherheitslücken: Weder schlugen die von den Fahrgästen gezogenen Notbremsen an, noch funktionierte das automatische Haltesystem des Zugs.
Als der Zug der Linie S 5 um 13.19 Uhr fahrplanmäßig auf Gleis 2 den Sinsheimer Bahnhof in Richtung Heidelberg verließ, ahnte noch keiner etwas von dem "Todeskommando", wie Passagiere die Geisterfahrt anschließend bezeichneten. Fünf Minuten später sollte eigentlich in Zuzenhausen gestoppt werden, aber der Triebwagen fuhr durch. Auch der Knotenpunkt Meckesheim wurde ohne Halt mit geschätzten 60 Stundenkilometern passiert. "Da wurden dann alle wirklich unruhig", schildert eine Mitfahrerin.
Passagiere wollten sich beim Lokführer melden und stellten beim Blick durch die Glasscheibe in die Fahrerkabine fest, dass der Mann auf seinem Stuhl zusammen gesunken war. Auch auf heftiges Klopfen an der Tür zum Führerstand zeigte er keine Reaktion. "Dann haben wir alle Notbremsen im Zug gezogen", wird von aufkommender Panik berichtet. Aber zum grenzenlosen Erstaunen der Fahrgäste tat sich "überhaupt nichts" - der Zug fuhr auch in Mauer durch. Erst vor Reilsheim kam der Lokführer wieder zu sich und brachte sein Gefährt zum Halten.
Was wäre gewesen, wenn der Triebwagen auch den stark vom Schienenverkehr frequentierten Bahnhof Neckargemünd erreicht hätte? Und hätte der Zug überhaupt die Kurve vor der Einfahrt bekommen? Diese Fragen stellten sich Mitreisende, nachdem sie den "Schock am ganzen Leib", so eine Frau, erst mal verdaut hatten.
Die regionale DB-Zentrale in Stuttgart wollte den Vorfall zunächst nicht wahrhaben, sprach von einer "Horrorgeschichte" und bestätigte lediglich das "unbefugte Betätigen der Notbremse", welches noch ein Ermittlungsverfahren nach sich ziehen werde. Das Fahrtenprotokoll, so hieß es, weise eine planmäßige Fahrt aus.
Gestern ruderte die Bahn dann nach mehrfacher Nachfrage zurück: "Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass so etwas passieren kann", meinte ein Bahnsprecher. Der Fahrzeugführer sei inzwischen in amtsärztliche Behandlung geschickt worden, außerdem habe man den Zug durchgecheckt - und dabei keine technische Mängel gefunden.
Dass die Notbremsen keine Wirkung zeigten, überrascht die Bahn offenbar nicht. Die Notbremsen in Zügen der Baureihe 425, wie sie entlang der Elsenz eingesetzt werden, sind nämlich eigentlich gar keine: Sie geben lediglich ein Warnsignal in die Fahrerkabine, bringen den Zug aber nicht zum Stehen. Das sei "gängige Technik", heißt es von Seiten der Bahn. Unerklärlich sei allerdings bislang, warum das zweite Sicherungssystem, das im Bahn-Jargon "Totmannknopf" genannt wird, nicht gegriffen hat.
Bei diesem Kontrollsystem muss der Lokführer immer wieder ein Bedienelement auslösen, um anzuzeigen, dass er reaktionsfähig ist. Wird es nicht betätigt, müsste der Zug stoppen - zumindest theoretisch. Warum es auf der Elsenztalstrecke nicht funktioniert hat, werde noch untersucht, hieß es gegenüber der RNZ.
Bei Passagieren, die sich wegen der Geisterfahrt beschwert hatten, hat sich die DB jetzt entschuldigt: Mit einem 50-Euro-Gutschein für die nächste Fahrt.
Zum Foto: Erst hier in Reilsheim kam die S-Bahn zum Halt, die auf ihrer Geisterfahrt ab Sinsheim durch die Haltestellen in Zuzenhausen, Meckesheim und Mauer gefahren war - obwohl Fahrgäste sämtliche Notbremsen gezogen hatten.
QUELLE: Bei S-Bahn-Fahrt durch das Elsenztal wurde der Fahrer bewusstlos