Deutsche Regionalbahnen stehen vor der Pleite
Abellio könnte das erste große Opfer des ruinösen Preiskampfs um deutsche Regionalstrecken werden. Das wäre der Anfang vom Ende des Wettbewerbs auf der Schiene.
Abellio
Die Lage des Unternehmens, Tochter der niederländischen Staatsbahn, ist angespannt. Ähnlich geht es den meisten Bahn-Konkurrenten – aber auch der Bahn selbst.
Düsseldorf Während der Staatskonzern Deutsche Bahn mit milliardenschweren Hilfen des Bundes rechnen darf, bangen die Wettbewerber um ihre Existenz. Abellio, einer der führenden Betreiber von Regionalbahnen, steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Nach 33 Millionen Euro Verlust im Geschäftsjahr 2019 könnte bald das Aus in Deutschland folgen.
Abellio weist auf Anfrage Spekulationen zurück, kurz vor der Pleite zu stehen. Das Unternehmen bestreitet allerdings nicht die Dramatik der Situation. Mit den Vertretern der Bundesländer stehe man in intensiven Gesprächen, um die Verkehrsverträge nachzuverhandeln.
Die Tochter der niederländischen Staatsbahn NS ist zwar bis Jahresende durch eine Patronatserklärung der Mutter geschützt. Ob die Niederländer aber darüber hinaus an ihrer defizitären deutschen Tochter festhalten, ist ungewiss.
Grund für die Schieflage ist nicht die Corona-Pandemie, sondern das ruinöse Vergabesystem im Regionalverkehr. Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist ein hochsubventioniertes Geschäft. Neun Milliarden Euro Steuermittel fließen jedes Jahr an Unternehmen wie Abellio. Doch „wir befürchten, dieses System wird ohne tiefgreifende Veränderungen an die Wand gefahren“, sagt Matthias Stoffregen, Geschäftsführer des Branchenverbands der privaten Bahnunternehmen Mofair.
Abellio deckt in einigen Bundesländer große Teile des Regionalverkehrs ab. In NRW ist das Unternehmen auch Teil des Rhein-Ruhr-Expresses (RRX).
Alle Bahnunternehmen versuchen, die Zusatzkosten weiterzureichen. „Wir wirken aktuell intensiv auf die Vertragsgestaltung der langjährigen Eisenbahnverkehrsverträge ein. Damit ein stabiler Wettbewerb existieren kann, müssen die Themen schnell angegangen werden“, drängt Keolis-Deutschlandchefin Anne Mathieu.
Die Verkehrsgesellschaften der Länder lehnen das bislang weitgehend ab. „Der Preis wird aus vergaberechtlichen und haushaltsrechtlichen Vorgaben wichtiges Wertungskriterium bleiben“, dämpft Frank Zerban zu große Hoffnungen auf Änderung. Zerban vertritt als Hauptgeschäftsführer des Verbands der Aufgabenträger (BAG-SPNV) die Interessen der Gegenseite – also der Länder, die die Bahnaufträge vergeben. Aber auch der Verband hat zur Kenntnis genommen, dass etwas getan werden muss. Denn die wirtschaftliche Lage der Bahngesellschaften sei zum Teil „sehr angespannt“.
Auch über die Zukunft von Keolis wird spekuliert
Spekuliert wird auch über die Zukunft von Keolis (Eurobahn). Die Tochter der französischen Gruppe, die wiederum der Staatsbahn SNCF gehört, stehe zum Verkauf, heißt es. Das hatte Keolis-Konzernchef Patrick Jeantet im Frühjahr in einem Interview angedeutet. Jeantet ist inzwischen abgelöst, eine Entwarnung ist das aber nicht. „Die Keolis-Gruppe prüft stets die Strategie des Gesamtkonzerns“, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. Ziel sei es, in Deutschland „wirtschaftlich erfolgreich auf dem Markt tätig zu sein“. Dieses Ziel liegt in weiter Ferne, Keolis schreibt hierzulande seit Jahren rote Zahlen.
Die ausländischen Bahnbetreiber, neben Staatsbahn-Ablegern auch einige private Firmen wie Transdev (Bayerische Oberlandbahn, Nordwestbahn, Württembergische Eisenbahngesellschaft) haben sich auf einen gnadenlosen Preiskampf eingelassen.
Die Margen im Schienenpersonennahverkehr sind sehr gering. Nach den letzten verfügbaren Zahlen der Bundesnetzagentur lag 2018 der Gewinn pro erlöstem Euro im Durchschnitt nur bei 0,1 Prozent. Die Jahre zuvor waren die Umsatzrenditen negativ. Einzig Transdev scheint von seiner Bussparte zu profitieren. Ob mit dem Bahnbetrieb Geld verdient wird, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht sagen.
Die klamme Lage der kleinen Konkurrenten der großen Deutschen Bahn hat weitreichende Folgen für den Wettbewerb. Der Branchenverband Mofair befürchtet, dass jetzt viele Verträge „notleidend“ werden. „Wenn sich nichts ändert, werden die Unternehmen sich nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen, weil das Risiko zu groß ist. Dann haben wir bald wieder Monopolpreise“, warnt Verbandschef Stoffregen. Soll heißen: Die Deutsche Bahn bliebe dann als einziger Anbieter übrig und könnte die Konditionen diktieren.
DB Regio, die für den Regionalverkehr zuständige Sparte des Staatskonzerns, könne sich „zurücklehnen“, befindet Lobbyist Stoffregen. Zum Halbjahr 2020 wies die Nahverkehrstochter des Staatskonzerns zwar 597 Millionen Euro Verlust aus. Der Bund hat allerdings zugesichert, die Corona-bedingten Finanzlöcher des Konzerns mit einer Kapitalspritze von mindestens 5,5 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt zu stopfen. Abellio und Co fürchten dagegen, vergeblich auf die Hilfe ihrer Eigentümer zu warten.
Quelle: Handelsblatt